RIM (Radfahrsteifen in Mittellage) – Lösung oder Gefahrenquelle?

Der RiM (Radfahrstreifen in Mittellage) – Lösung oder Gefahrenquelle?

Zur Fahrradsituation in Deutschland

Der RiM, hier: Hameln Kreuzung Kastanienwall / Erichstraße

In Deutschland ist Radfahren angesagter denn je. Der Fahrradmonitor von 2022 des Bundesverkehrsministeriums zeigt, 38% der Menschen in Deutschland fahren mehrfach in der Woche oder täglich mit dem Rad.

In größeren Städten nahm der Anteil der Radfahrenden am Verkehrsaufkommen von 2020 bis 2021 von 13% auf 19% zu.

Also knapp ein Fünftel fährt dort inzwischen mit dem Rad. Bis 2035 könnten es 45% sein, wenn die Fahrradinfrastruktur entsprechend ausgebaut wird, so eine aktuelle Studie des Frauenhofer-Instituts. Das würde jährlich 19 Mio. Tonnen CO2 in Deutschland einsparen.

Das hat Auswirkungen. Verkehrsplaner müssen verstärkt überlegen, wohin mit dem Radverkehr: getrennt oder gemischt mit anderen Verkehrsteilnehmern? In jedem Falle stellt sich die Frage: Wieviel Platz muss der motorisierte Individualverkehr abgeben, damit sich auch andere Verkehrsteilnehmer sicher fortbewegen können?

Zumal beim Radverkehr, im Gegensatz zum Autoverkehr, keine klimaschädlichen Gase entstehen. Eben genau das, was wir alle mit der Verkehrswende erreichen wollen.

Als eine Lösung für den zunehmenden Radverkehr gilt, oder man muss fast sagen galt, der Radfahrstreifen in Mittellage (RiM), eine immerhin deutlich markierte Radspur zwischen den Fahrbahnen der Autos.

Auch Hameln greift an einigen größeren Kreuzungen auf diesen Ansatz zurück.

Hier: Hameln Kreuzung Brückenkopf

DER SPIEGEL berichtet in seiner Ausgabe vom 21/2024 von einem tödlichen Unfall in München.

Eine 65 Jahre alte Radfahrerin wurde auf einem RiM von einem anfahrenden LKW überrollt. Der Allgenmeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hatte demnach schon 2019 vor genau dieser Stelle gewarnt: “Wer so etwas baut, stellt den möglichst schnellen Verkehrsfluss von Kraftfahrtzeugen über die Verkehrssicherheit von Radfahrenden. So riskiert die Stadt Tote.“

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hat nach dem Unfall seine Verwaltung beauftragt, ähnliche Radführungen zu prüfen und unter Umständen zu ändern.

Die Überlegung der Planer bei der Einrichtung eines RiM ist klar: Rad- und Autofahrende sollen sich noch vor einer Kreuzung im jeweiligen Sichtbereich sortieren, um dann auf der eigenen Spur durch den Gefahrenbereich zu kommen. Was aber, wenn einer den anderen übersieht?

Die Unfälle mit Radfahrenden in Deutschland (dazu später mehr) werden insgesamt häufiger und schwerer.

Dabei ist die Datenlage zum RiM nach Angeben der Zeitschrift DER SPIEGEL auf den ersten Blick nicht schlecht. Das Münchener Mobilitätsreferat stellte bei Kreuzungen, an denen eine Radspur zwischen den Fahrbahnen eingerichtet wurde, für 2019 ein Rückgang der Radfahrunfälle fest. Aber auf den zweiten Blick nahm die Zahl der Schwerverletzten zu.

Berlin und Hamburg verzichten daher, neue RiM zu planen.

Fahrradinitiativen lehnen sich querende Rad- und Autospuren immer mehr ab. Sie sprechen von „Todes- oder Angstweichen“: will der Radfahrende den RiM nutzen, muss er irgendwann rüber über die Fahrbahn der Autos.

Hier: Hameln Kreuzung Brückenkopf

Seniorinnen und Senioren, Familien mit Kindern oder gar für Kinder, die auf dem Schulweg sind, fühlt es sich an, dem rollenden Verkehr ungeschützt ausgeliefert zu sein, so Vertreter des ADFC. Sie nutzen in solchen Situationen dann den Gehweg. Das führt unter Umständen zu Kollisionen mit Fußgängen und Rechtsabbiegern.

Sicherer wirken baulich getrennte Radwege oder geschützte Radstreifen auf den Straßen, die durch Poller, Blumenkübel oder Schwellen abgetrennt sind. Das würde mehr Menschen motivieren, vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen. Dieses weiß man aus anderen Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden. Aber diese Variante braucht deutlich mehr Platz und ist teurer als der RiM.

Die grundsätzliche Frage bleibt daher: Wohin will Deutschland bei der Verkehrswende?

Die Zahl der bei uns getöteten PKW-Insassen ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2010 lag sie bei ca. 2.000, im Jahr 2022 bei rund 1.200 Personen. Das ist sehr erfreulich!

Bei den Radfahrenden finden wir allerdings einen gegenteiligen Trend. Im Jahr 2010 hatten wir etwas weniger als 400 tödliche Fahrradunfälle. Im Jahr 2022 lag die Zahl bei ca. 480 Getöteten.     

Das lässt sich sicherlich auch mit dem zunehmenden Radverkehr erklären. Aber die mangelhafte Infrastruktur und ihr zögerlicher Umbau bei uns tun das Übrige.

„Wie sehr ich Berlin auch liebe…..Fehlende Radwege. Zerlöcherte Radwege. Radwege, die plötzlich enden oder vor einem Baum abrupt abknicken. Unmögliche Kreuzungen ohne getrennte Ampeln für Fahrräder.“ So beschreibt der Däne Mathias Irminger Sonne, Kommunikationschef der Königlichen Dänischen Botschaft, die Situation in unserer Hauptstadt. In seinem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ untermauert er diese Darstellung mit Zahlen für das vergangene Jahr: 574 Schwerverletze und 12 Getötete für Berlin im Radverkehr.

Andere Länder in Westeuropa setzen besonders in den Großstädten vermehrt auf das Rad und drängen den Kraftverkehr zurück. Sie schaffen eine sichere Infrastruktur für die Radnutzung – jetzt sogar die vermeintliche Auto-Stadt Paris. Diese Städte lösen damit mehrere Probleme gleichzeitig: Klimawandel, Platz- und Finanzprobleme. Fahrräder stoßen keine klimaschädlichen Gase aus, sie benötigen ein Sechstel vom Platz eines PKW und jeder mit dem Rad gefahrene Kilometer spart der Allgemeinheit 1,12 Euro im Gegensatz zum Autokilometer, hat das dänische Transportministerium berechnet.

Und, durch eine gute Infrastruktur für das Radfahren werden die Unfallzahlen deutlich reduziert.

Quellen:

  • „Ich konnte das Chaos kaum fassen“, Mathias Irminger Sonne, Die Zeit, 23.05.2024
  • „Verkehrssicherheit im Radverkehr“, Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Niedersachsen, Unterlagen Inhouse-Schulung
  • „Bringt der Mittelweg den Tod?“, Jan Friedmann, Der Spiegel, 21.05.2024
  • „Deutschland wird Fahrradland“, Lucas Kissel, Die Zeit, 20.04.2022
  • „Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz und für lebenswerte Städte und Regionen“, Karlsruhe 21.05.24, Frauenhofer ISI, WEB-Seite ADFC

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