2 Jahre „Fahrradbeauftragter“ der Stadt Hameln

Interview mit Robert Lendeckel

Vor gut zwei Jahren, Ende Juni 2023, trat überraschend Lars Reinecke als ehrenamtlicher Fahrradbeauftragter der Stadt Hameln und als Mitglied und Vorsitzender der Fahrradbegleitkommission zurück.

Die Vakanz konnte nach kurzer Zeit durch Robert Lendeckel, Mitglied im ADFC und in der Initiative Rad-Verkehrswende Hameln JETZT!, gefüllt werden, der auf Vorschlag des ADFC für den Posten kandidierte, einstimmig gewählt und vom Rat bestätigt wurde.

Dies ist nun zwei Jahre her. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen, wie Robert diese zwei Jahre erlebt hat. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Verwaltung, welche Fortschritte wurden erzielt, wo gab es eher Rückschritte und wo tritt man auf der Stelle?

Wir befragten ihn.

  • Robert, stell Dich den Lesern doch erstmal kurz vor: wer bist Du, was machst Du, wo kommst Du her, und was verbindet Dich mit dem Radfahren?
  • Hallo! Mein Name ist Robert Lendeckel, ich bin 36 Jahre alt und Lehrer an der Elisabeth-Belling-Gesamtschule hier in Hameln. Ich habe seit knapp 2 Jahren auch das Ehrenamt des Fahrradbeauftragten der Stadt Hameln inne, das ich seit dieser Zeit sehr, sehr gerne bekleide.
    Zum Fahrradfahren gibt es vielleicht eine kleine persönliche Anekdote: Ich habe – so zumindest meine Erinnerung – mir mit 5 oder 6 Jahren selbständig das Fahrradfahren beigebracht. Meine Eltern haben es zuvor immer wieder versucht, aber wahrscheinlich kam das einfach zu früh. Wenige Monate später hab ich mir dann einfach selbst das Rad eines Kindergartenfreundes geschnappt, und dann lief das plötzlich sehr, sehr gut. Dieses selbstwirksame Erlebnis verbindet mich seither mit dem Fahrradfahren.
    Heute ist, auf Grund dieses Ehrenamtes, das Fahrrad für mich auch ein politisches Thema geworden. Ich glaube, dass noch längst nicht alle Potentiale des Fahrrads als nachhaltiges Verkehrsmittel erkannt werden. Dafür möchte ich gerne werben und die Verkehrswende aktiv mitgestalten.
  • Was hat Dich im Juni 23′, als plötzlich ein neuer ehrenamtlicher Fahrradbeauftragter gesucht wurde, bewogen, Deinen Hut in den Ring zu werfen und zu kandidieren?
  • Zunächst bin ich auf der Gründungsveranstaltung der Initiative Rad-Verkehrswende Hameln JETZT! darauf aufmerksam geworden, dass sich ein breiteres Bündnis für das Fahrrad entwickelt und darüber sind auch die ersten Kontakte zur Stadt und Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft entstanden. Diese haben mich dann vorgeschlagen und ermuntert zu kandidieren.
  • Nachdem Du gewählt wurdest – was waren anfangs die Schwerpunkte Deiner Arbeit? Welche Aspekte wolltest Du einbringen, welche Aspekte konntest Du einbringen?
  • Als ich das Amt übernommen habe, haben natürlich erstmal sehr viele Gespräche mit den Verantwortlichen bei der Stadt stattgefunden. Im Vorfeld habe ich mir aber auch eigene Ideen, eine eigene kleine Agenda zurecht geschrieben, auf die ich in meiner bisherigen Amtszeit besonders eingehen wollte. Manchmal schaue ich heute noch auf dieses Dokument und das Erfreuliche daran ist, dass mittlerweile schon einiges umgesetzt wurde oder bald wird.

    Viel Potential für eine bessere Radinfrastruktur sah und sehe ich z.B. rund um den Bahnhof. Inzwischen sind hier einige Verbesserungen erkennbar. So wurde bspw. die Beschilderung am Bahnhof selbst verbessert, und auch das Erreichen des Bahnhofs durch die Kreuzstraße deutlich erleichtert. 2026 findet dann noch die quälende Situation am Berliner Platz ihr Ende. Dann haben wir Radfahrende eine tolle Achse vom Ada-Lessing-Park bis zum Bahnhof und zudem noch eine gute Anbindung an die Innenstadt.

    Des Weiteren beschäftige ich mich auch mit den Orten in der Stadt, an denen es immer wieder zu Verkehrsunfällen mit dem Fahrrad kommt. Ein Beispiel ist die Straße „Guter Ort“, der leider ihren Namen nicht wirklich verdient, weil dort eine Eisenbahnschiene in einem sehr ungünstigen Winkel über die Straße führt, so dass dort leider häufiger Fahrradfahrer*innen zu Fall gekommen sind. Gemeinsam mit der Verwaltung versuche ich schon seit Beginn meiner Amtszeit, daran etwas zu verbessern. Leider kommen hier andere Akteure ihren Pflichten nicht nach. Das ist mehr als ärgerlich, aber ich habe vor wenigen Tagen erfahren, dass auch hier wieder “Schwung in die Sache” gekommen ist, sodass ich optimistisch bleibe, dass auch diese Problemstelle bald der Vergangenheit angehört.

    Im weitesten Sinne als dritten Baustein würde ich dann noch die Werbung für das Fahrradfahren nennen, wir haben Fahrrad-Demos organisiert, ich habe immer wieder bei vielen Bürgerveranstaltungen auch mit Menschen Kontakt gehabt und sie für das Fahrradfahren motivieren können, sowie bei Parteien für das Fahrrad als Verkehrsmittel geworben. Zudem melden sich immer wieder auch Bürger*innen bei mir, die Frust oder Anregungen zum Thema loswerden wollen. Diese Anliegen nutze ich dann wieder für Gespräche mit der Stadtverwaltung.
  • Inwiefern konntest du Ideen, die die Initiative Rad-Verkehrswende Hameln JETZT! entwickelt haben, einbringen und möglicherweise sogar umsetzten?
  • Die vielfältigen Ideen, die die „Initiative Rad-Verkehrswende Hameln JETZT!“ eingebracht hat, habe ich immer wieder versucht, auch in den Gesprächen mit der Verwaltung aufkommen zu lassen; ich habe dort insbesondere kontinuierlich Werbung dafür gemacht, sich detaillierter mit dem „164er Ring“ und dem gesamten Quartier rund um die „Scharnhorststraße“/“Falkestraße“, auch „Gartenstraße“ usw. zu beschäftigen. Dort werden im Jahr 2026 Veränderungen umgesetzt; der „164er Ring“ soll im Rahmen eines Verkehrsversuchs teilweise für den motorisierten Individualverkehr gesperrt werden, und zugleich läuft aktuell eine Verkehrszählung in der Gartenstraße.

    Auch das war immer wieder ein wichtiges Thema der Rad-Initiative: es gab insgesamt vier Treffen mit Anwohnern und Anwohnerinnen des Quartiers, die sich stark dafür ausgesprochen haben, dass die Fahrtrichtung in der Gartenstraße wieder umgedreht wird, um so den Abkürzungsverkehr und auch den Parksuchverkehr dort einzudämmen, indem eben Arbeitnehmer*innen, die z.B. beim Landkreis arbeiten oder in den umliegenden Betrieben oder Schulen diese Straße nicht mehr so sehr als Parkfläche für sich in Anspruch nehmen. Natürlich muss dann in der Gartenstraße auch das beidseitige Parken aufgelöst werden, sonst ist das für das Radfahren und Gehen auf dem Bürgersteig alles kein Gewinn. Das wird sicher noch einige Verhandlungen bedürfen.
  • Mit dem Ehrenamt des Fahrradbeauftragten verbunden ist ja die Rolle des Vorsitzes der Fahrradbegleitkommission, kurz FBK. Wie erlebst Du die Arbeit der FBK, und welche Schwerpunkte konntest Du dort einbringen?
  • Die Arbeit in der Fahrradbegleitkommission (FBK), die seit diesem Jahr nur noch 3x im Jahr tagt, ist eine sehr interessante Tätigkeit. In der FBK sitzen Vertreter und Vertreterinnen aus dem Stadtrat, aber auch aus der Zivilgesellschaft, z.B. vom ADFC, dem Seniorenrat, Schülervertreter, Elternvertreter, aber auch die Polizei ist z.B. dabei. Wir beratschlagen dort über Themen, die ich maßgeblich mit den Menschen aus der Verwaltung der Stadt Hameln festlege.
    Wir berichten dort zunächst über die Dinge, die
    zuletzt umgesetzt worden sind und anschließend über geplante Maßnahmen. Dieses Beratschlagen, dieses ‚Brainstormen‘, Argumente austauschen für oder gegen neue Radverkehrsprojekte ist immer sehr sehr spannend. Und es zeigt auch, dass vieles eigentlich in dieser FBK sehr sehr positiv gesehen wird was die Projekte für das Radfahren angeht. Und anhand der vielen Projekte, die dort in den letzten zwei Jahren immer wieder thematisiert werden ist schon deutlich geworden, dass da einiges passiert ist in der Stadt.

    Besondere Schwerpunkte in der FBK waren für mich neben den Themen rund um den Bahnhof auch, die Fahrradstraßen als echte Fahrradstraßen zu markieren – das haben wir im letzten Jahr geschafft. Wichtig ist natürlich noch der „Berliner Platz“, der es über eine zentrale Vorzugsroute vom Bahnhof über die Fahrradstraße „Karlstraße“ dann ermöglicht in die Innenstadt zu kommen, oder eben auch das große Schulzentrum Nord zu erreichen, und so die gesamte Nordstadt mit anzubinden, und so eben eine vom motorisierten Individualverkehr dann weitgehend isolierte, getrennte Super-Vorzugsroute zu haben.

    Des
    Weiteren hab ich mich auch immer wieder dafür eingesetzt, dass die Vorzugsrouten im Straßennetz der Stadt deutlicher erkennbar werden. Hier habe ich z.B. die Idee, diese auch farblich auf den Hinweisschildern hervorzuheben, denn viele Menschen wissen gar nicht, dass wir in Hameln Vorzugsrouten für den Radverkehr haben. Es wäre daher mein Wunsch, diese deutlicher hervorzubeben.
  • Die Kommission ist Teil der Verwaltung, berät aber auch die Verwaltung. Wie hat sich die Kooperation mit der Verwaltung entwickelt?
  • Die Kooperation mit der Verwaltung läuft sehr stark über den Radverkehrsplaner Stephan Müller, der sehr engagiert viele Projekte begleitet und auch größere Projekte in diesem Jahr umgesetzt hat. Immer wieder treffen wir uns in einem Rhythmus von vier bis sechs Wochen und besprechen Themen, die von Mitbürgern zugetragen werden, aber auch die ich selbst setze, oder eben über Projekte, die gerade die Stadt Hameln, und insbesondere Herr Müller, dann federführend auch projektiert. So haben wir dann z.B. immer wieder auch neue Ideen für Fahrradstraßen entwickelt. Ein aktuelles Beispiel ist die in diesem Jahr fertiggestellte „Zentralstraße“, die als zusätzliche Fahrradstraße jetzt auch markiert wurde. Diese verbindet nun auch die Südstadt (einschließlich dem Wilhelmsplatz) sehr gut mit dem Bahnhof.
  • Wir haben immer argumentiert, die Rollen des FBK-Vorsitzenden und des Fahrradbeauftragten sollten besser getrennt werden, da man in der einen Rolle Teil der Verwaltung ist, die man in der anderen Rolle aber auch kritisch hinterfragen muss.
    Wie erlebst Du die Praxis dieser beiden Rollen? Gibt es wirklich einen Rollenkonflikt?
  • Dass der Fahrradbeauftragte gleichzeitig Vorsitzender der FBK ist, mag seine Tücken haben, weil man natürlich aus einer moderierenden Position, die der Vorsitzende ja nun einmal einnimmt, nicht in gleichem Maße an der Diskussion teilnehmen kann.

    Das halte ich aber für ein kleineres Übel, weil diese Treffen zur Fahrradbegleitkommission ja von mir und von Herrn Müller sehr intensiv vorbereitet werden, so dass wir im Vorfeld schon viel, viel diskutieren und Meinungen austauschen, und ich mich so bei diesen beiden Sitzungen, die vor allem im Rathaus stattfinden, stark darauf konzentrieren kann, dass alle Teilnehmer zu Wort kommen, dass die Diskussion auch nicht zu sehr aus dem Ufer gerät und ich mich dort eher als Koordinator und Moderator der Veranstaltung begreifen kann, um so auch ein bisschen hineinzuhören in die Stimmungslage zu den einzelnen Themen.

    Die kritische Perspektive kann ich dann immer in den Vorgesprächen ausleben, und ich glaube das ist auch okay, zumal diese FBK ja ohnehin nur dreimal im Jahr tagt, die eigentliche Arbeit aber natürlich in mindestens acht bis zehn Sitzungen innerhalb des Jahres noch genügend Zeit lässt, um kritische Äußerungen, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
  • Die Beratungen der FBK waren und sind nicht öffentlich und vertraulich. Dies wurde schon mehrfach kritisiert – wie siehst Du das?
  • Dass die FBK nicht öffentlich ist, halte ich für eine gute und sinnvolle Entscheidung, weil wir so auf einer ganz an deren Ebene miteinander kommunizieren können und so eben von Mitgliedern des Stadtrats oder der Verwaltung auch Ideen ausgetauscht werden können, die – anders als im Umweltausschuss – natürlich auch von der Presse beäugt würden und so ggfs. auch Schlagzeilen machen könnten – die vielleicht nicht sinnvoll sind, weil diese Projekte vielleicht nie umgesetzt werden. Und vielleicht – so meine Befürchtung – gäbe es dann auch eine kleine „innere Zensur“ der Teilnehmenden, oder es gäbe eine Art Profilierung vor der Presse und vor anderen möglichen Teilnehmern dieser FBK, sich besonders hervorzutun mit irgendwelchen Ansichten, die dann vielleicht eher parteipolitisch zu interpretieren wären als dass sie wirklich zum Sachverhalt gehörten.

    Insofern finde ich diesen nicht-öffentlichen Charakter sehr gut; natürlich muss man sich überlegen – und das haben wir auch verändert – wie wir überhaupt in der Öffentlichkeit sichtbar werden, wie wir da rein rücken. Und die letzten FBK’s wurden immer auch durch ein kleines Ergebnisprotokoll begleitet, welches auf der Instagram-Seite der Stadt Hameln veröffentlicht wurde, so dass wir zumindest über die Themen, über die wir geredet haben, eine allgemeine Öffentlichkeit hergestellt haben.


  • Wir, die Rad-Initiative, bekommen wegen der Vertraulichkeit der Themen und Beratungen nicht viel von der Arbeit der FBK mit – könnten nicht zumindest die Themen selbst, z.B. mit uns, kommuniziert werden?
  • Das biete ich natürlich immer an, da ich dankbar für Impulse zu aktuellen Fragestellungen bin. Über die FBK-Vertreter*innen des ADFC, die ja zum Teil auch Mitglieder der Initiative sind, seid ihr, denke ich, aber auch schon ganz gut mit den wichtigsten Informationen aus diesen Sitzungen “versorgt”.
  • Nach zwei Jahren im Amt kann man ja eine gewisse Bilanz ziehen – welche Fortschritte für den Radverkehr in Hameln wurden Deines Erachtens erzielt, wo gab es eher Rückschritte und wo tritt man auf der Stelle?
  • Ein Fazit ist nicht ganz leicht, aber ich will es gern versuchen.
    Ich will es mal so sagen, Hameln hat eine gute Grundlage für den Radverkehr. Der Weserradweg bietet seit jeher eine wichtige Achse, die in den letzten Jahren bereits deutlich verbessert wurde (z.B. Radweg an der Jugendherberge oder auch der interessante Abschnitt auf dem Upnor-Gelände). Und in den nächsten Jahren ist da ja auch noch einiges am Anleger der Ausflugsschiffe geplant.

    Jenseits des Weserradwegs und der Fahrradstraßen gibt es aber noch einige “Lückenschlüsse”, die ich gerne schneller geschlossen hätte. Ich bin sehr froh, wenn vielleicht heute in einem Jahr der Berliner Platz endlich fahrradfreundlich wird, aber dieses Thema schwelt leider schon viele Jahre. Aus meiner Position als Fahrradbeauftragter verstehe ich manche Verzögerungen und Zeitpläne nun besser, dennoch bräuchte es eine schnellere Umsetzung der vielen guten Ideen, die bereits in den Schubladen liegen, um das Fahrradfahren noch attraktiver zu machen.

    Es gibt also noch viel zu tun, aber es herrscht auf alle Fälle kein Stillstand oder Rückschritt. Das Fahrrad wird in den Planungen nun deutlich stärker mitgedacht als vielleicht noch vor 10 oder 20 Jahren. Und wir dürfen nicht vergessen, auch in Utrecht oder anderen beispielhaft genannten Fahrrad-Hauptstädten hat der Stadtumbau mehrere Jahrzehnte gedauert und kann und konnte unter ganz anderen finanziellen Voraussetzungen gestaltet werden. Da wäre in ganz Deutschland noch ein stärkerer Paradigmenwechsel hin zum Fahrrad vonnöten.
  • Würdest Du erneut kandidieren; WIRST Du erneut kandidieren?
  • Ja, sehr wahrscheinlich sogar. Es macht mir sehr viel Spaß, die Stadt aus den Augen eines Radfahrers zu sehen. Vielleicht probieren Sie es morgen auch mal aus und lassen das Auto einfach mal stehen. Meistens sind Sie im Stadtgebiet ohnehin mit dem Rad schneller.

    [Rückfragen/Kommentare gerne an robson.ponte@web.de]

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