Die Stadt Nordhorn beweist das Gegenteil
Seit 2020 wird die Stadt Nordhorn im Fahrradklimatest des ADFC regelmäßig als fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands in der Kategorie der Städte zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern ausgezeichnet. Im letzten Test von 2022 erreichte die Stadt eine Gesamtnote von 2,76 in der Bewertung der Befragten. Auch wenn Hameln im Vergleich dazu auf Platz 28 der Rangliste von 113 teilnehmenden Städten ebenfalls im oberen Viertel der Tabelle steht, weist die um eine Note schlechter ausfallende Gesamtbewertung für Hameln von 3,8 darauf hin, dass die Unterschiede deutlicher sind als es die Rangliste zu zeigen scheint.
Was also macht Nordhorn anders?
Die beiden Städte unterscheiden sich zunächst gar nicht so deutlich. Hameln ist mit 57.934 Einwohnern und Einwohnerinnen nur unwesentlich größer als Nordhorn ist mit 55.136. Ähnlich wie Hameln liegt Nordhorn an der Kreuzung von Bundesstraßen, hier der B213 und der B403, sowie in unmittelbarer Nähe zweier Autobahnen (A30 und A31), die beide in ca. 10 km Entfernung an der Stadt vorbei führen. Ebenfalls vergleichbar ist die Stellung der Stadt als regionales Mittelzentrum mit mehreren weiterführenden Schulen, einem breiten kulturellen und sportlichen Angebot sowie Einkaufsmöglichkeiten, die sie zu einem Anziehungspunkt für die Menschen aus der Umgebung macht. Nicht zuletzt sind beide Städte touristische Ziele, u.a. auch für Fahrradtouristen.
Aber natürlich gibt es auch signifikante Unterschiede. Als die beteiligten Akteure der Stadt Nordhorn sich im Jahre 2018 auf den Weg machten, sich vom zweiten Platz des Fahrradklimatests auf den ersten zu verbessern, gab es zwei wesentliche Aspekte, die als Voraussetzung wichtig waren, um dieses Ziel tatsächlich auch zu erreichen. Zum einen liegt Nordhorn direkt an der niederländischen Grenze und hat u.a. auch deswegen eine traditionelle Kultur des Fahrradfahrens (im Jahr 2017 lag der Anteil des Fahrradverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen, der sogenannte Modal Split, bei 39%). Zum anderen ist es gelungen, mit der Eröffnung der Nord-Umgehungstraße im Jahr 2019 den Durchgangsverkehr auf den Bundesstraßen weitgehend aus dem innerstädtischen Bereich zu entfernen.
Im Vergleich dazu sind die Bedingungsfelder in Hameln ungleich schwieriger. Eine Umgehungsstraße ist zwar seit langem geplant, eine Umsetzung ist aber zumindest in naher Zukunft nicht in Sicht, der Verkehr auf den Bundesstraßen wird sich auch in den nächsten Jahren durch die Stadt bewegen. Auch der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen in Hameln ist mit 13 % deutlich niedriger.
Dennoch lohnt ein Blick in das Nordhorner Radverkehrskonzept, denn die dort vorgeschlagenen und umgesetzten Maßnahmen haben schon drei Jahre nach der Veröffentlichung des Konzeptes zum gewünschten Erfolg geführt: Nordhorn belegt Platz 1 des Fahrrad-Klimatests und konnte den Anteil des Radverkehrs auf über 40 % steigern. Dem Konzept liegen einige wesentliche Ansätze zugrunde, die auch für die Stadt Hameln von Bedeutung sein könnten.
Einheitliche Regelungen
Alle neuen Regelungen müssen für das gesamte Stadtgebiet einheitlich sein, damit sie von allen Verkehrsteilnehmer:innen akzeptiert und umgesetzt werden. Erst wenn alle jederzeit und an jedem Ort wissen, wie die Regelungen aussehen, werden sie meist auch befolgt.
Vorrang- und Komfortnetz
Es wird ein Vorrang- und Komfortnetz aus Radwegen eingerichtet, welches die besonders viel befahrenen Straßen und die besonders attraktiven Strecken abdeckt. Diese Radwege sollen in ihrer Ausgestaltung und Komfortabilität über die normalen Standards hinausgehen und ggf. auch alternative Routen zu den Hauptverkehrsstraßen bieten. Ggf. soll dieses Netz auch durch die Ausweisung von Fahrradstraßen ergänzt werden. Ziel ist hier, die schnellere Überwindung auch größerer Strecken zu ermöglichen, sodass mehr Menschen auch für solche Strecken auf das Fahrrad umsteigen.
Führung des Radverkehrs
Wo der Radverkehr entlang geführt wird, hängt von der KFZ-Verkehrsdichte und der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit ab. Radverkehr und KFZ-Verkehr werden im Mischverkehr auf der Straße geführt, wenn Tempo 30 gilt, oder in Ausnahmefällen bei Tempo 50, wenn das allgemeine Verkehrsaufkommen es zulässt. Begründet wird dieses damit, dass der Geschwindigkeitsunterschied in diesen Bereichen niedrig ist und es für Radfahrende sicherer ist, wenn die Autofahrerinnen und Autofahrer sie die ganze Zeit über im Blick haben.
Wo es der vorhandene Platz zulässt, werden auch wahlfreie Lösungen gefunden. Je nachdem, wie sicher sich die Radfahrenden fühlen und wie schnell sie unterwegs sind, dürfen sie auf der Straße fahren oder die Nebenanlage nutzen. An Hauptverkehrsachsen innerorts und an Straßen außerorts werden die Radfahrenden auf getrennten Nebenanlagen geführt.
Für große Teile des Stadtgebietes in Nordhorn abseits der Hauptverkehrsadern gilt Tempo 30. Abhängig von der Breite der jeweiligen Straße werden ggf. Radfahrstreifen oder Schutzstreifen markiert.
Knotenpunkte
Die Verkehrsknotenpunkte werden besonders in den Blick genommen, da sie einerseits entscheidend sind bei der Frage, wie zügig und komfortabel die Radfahrer und Radfahrerinnen sie überwinden können und andererseits Schwerpunkte sind für Unfälle, bei denen Radfahrende betroffen sind. Wenn der Platz zudem an den Knotenpunkten beengt ist und Fußgänger- und Radverkehr sich diesen teilen müssen, sind dies oft auch die Stellen, an denen es zu Konflikten zwischen diesen beiden Gruppen kommt.
Das Konzept sieht auch hier vor, den Radverkehr möglichst im Mischverkehr zu führen. Die Ausweisung von Abbiegespuren für den Radverkehr (besonders bei Linksabbiegern) sollen die Sicherheit zusätzlich erhöhen und den Verkehrsfluss verbessern. Das Führen des Radverkehrs auf der Straße soll innerorts auch der Standard bei Kreisverkehren sein. Wo dieser innerorts im Nebenraum auf einem Radweg geführt wird, soll er Vorrang vor dem Autoverkehr haben. Die Querung von Straßen und Furten an Knotenpunkten soll durch eine Aufpflasterung oder eine entsprechende Markierung optisch kenntlich gemacht werden.
Schließlich soll es Verbesserungen bei der Überquerung der Knotenpunkte mit einer Ampelanlage geben. Wo der Radverkehr durch eigene Ampelanlagen gesteuert wird, handelt es sich häufig um Bedarfsampeln, d.h. die Radfahrenden müssen einen Knopf an der Ampel drücken, damit sie umschaltet. Oft sind diese Knöpfe nicht gut erreichbar, die Wartezeiten sind recht lang oder die Radfahrerinnen und Radfahrer müssen die Straße gar zu Fuß überqueren. Statt dessen sollen nun die Ampeln durch Videoerkennung oder Induktionsschleifen in der Fahrbahn geschaltet werden, wodurch die Wartezeit reduziert werden soll. Wo weiterhin ein Schalter bedient werden muss, soll er möglichst komfortabel erreichbar sein.
Weitere Aspekte
Weitere Bestandteile des Konzeptes beinhalten die Erneuerung und ggf. den Ausbau sowie die Pflege und Instandhaltung des Radwege-Netzes sowie die Verfügbarkeit von sicheren Fahrrad-Parkmöglichkeiten, die aber hier nicht weiter betrachtet werden sollen. Hier empfiehlt sich die genauere Lektüre des Nordhorner Konzepts.
Quellen
Planungsbüro VIA eG/Stadt Nordhorn: Radverkehrskonzept für die Stadt Nordhorn, in: nordhorn.de, 29.08.2017, [online] https://www.nordhorn.de/portal/seiten/radverkehrskonzept-900000580-26710.html (abgerufen am 16.08.2023).
Stadt Hameln: Statistische Daten – Schriften zur Stadtentwicklung Dezember 2022, in: hameln.de, 12.2022, [online] https://www.hameln.de/de/wirtschaft-stadt-umwelt/stadt-im-fokus/daten-und-fakten (abgerufen am 16.08.2023).
Stadt Hameln Fachbereich Umwelt und technische Dienste: Green City Plan Hameln: Masterplan für die Gestaltung nachhaltiger und emissionsfreier Mobilität, in: hameln.de, 31.08.2018, [online] https://www.hameln.de/de/wirtschaft-stadt-umwelt/verkehr/masterplan-mobilitaet (abgerufen am 16.08.2023).
Stadt Nordhorn: Nordumgehung freigegeben: in: nordhorn.de, 11.07.2019, [online] https://www.nordhorn.de/portal/meldungen/nordumgehung-freigegeben-900000373-26710.html (abgerufen am 16.08.2023).
Stadt Nordhorn: Zahlenspiegel 2020/ 2021 Zahlen, Daten und Fakten der Stadt Nordhorn, in: nordhorn.de, 2022, [online] https://www.nordhorn.de/wirtschaft-tourismus/nordhorn-stellt-sich-vor/zahlenspiegel/ (abgerufen am 16.08.2023).